Wer die Nahrung kontrolliert...

„Ein geschichtsträchtiger Kampf ist im Gange, der am Ende stärker die Zukunft der Menschen auf dem Planeten bestimmen wird als die weitaus lauteren Kriege um Erdöl, der Terrorismus oder politische Ideologien. Es ist der Kampf darum, wer am Ende den Anbau, die Verarbeitung und Verteilung der Nahrungsmittel der Welt kontrolliert“. [1]

Debbie Barker, stellvertretende Direktorin des International Forum on Globalization, San Francisco, USA

Die aktuellen Diskussionen über die Nahrungsmittelkrise und die Rolle der Landwirtschaft in den Ländern des Südens bergen eine große Chance für die Durchsetzung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaftspolitik. Allerdings ist auch die Gefahr groß, daß die kapitalistische, exportorientierte und konzerngesteuerte Agroindustrie mit einer umfassenden Umgestaltung und Unterwerfung der Landwirtschaft unter ihre Kontrolle und kapitalistischen Verwertungsbedingungen erfolgreich sein wird. Dazu gehört die Wiederbelebung der „grünen Revolution“, die in Afrika in den 1990er Jahren gescheitert war. Durch diese Strategie sollte die landwirtschaftliche Produktion in Entwicklungsländern durch neue Technologien und den verstärkten Einsatz von Pestiziden gesteigert werden. Ihr Erfolg war zwar zunächst eine Ertragssteigerung, hatte aber mittel- und längerfristig negative Auswirkungen wie die Verseuchung der Böden durch Pestizide, die Verbreitung von Monokulturen und eine Konzentration von Landbesitz.

Ein wesentlicher Grund für den Mißerfolg der „grünen Revolution“ war damals der Rückgang öffentlicher Gelder sowie der Entwicklungshilfe für den landwirtschaftlichen Sektor, nachdem dieser nicht mehr als Kernbereich einer armutsorientierten Wachstumsstrategie angesehen worden war. Die landwirtschaftliche Förderung konzentrierte sich statt dessen immer stärker auf den Anbau von Exportwaren wie Kaffee, Kakao, später auf Schnittblumen und Obst und andere Produkte mit angeblichen „Standortvorteilen“.

Zugleich trieben Lebensmittelimporte aus den USA und der EU, verbilligt durch Subventionen und den erzwungenen Abbau von Schutzzöllen, viele einheimische landwirtschaftliche Betriebe in den Bankrott und schienen sie überflüssig zu machen. So fanden sich diverse afrikanische Länder in einem Teufelskreis wieder: Die Förderung des Landwirtschaftssektors und der Anbau von Nahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung gingen rapide zurück; sinkende Weltmarktpreise, auch durch das Auslaufen internationaler Verträge wie dem Kaffeeabkommen, reduzierten die Einkommen. Das Beispiel Kenia zeigt das Ausmaß dieser Fehlentwicklung: Während dort mit Unterstützung durch die internationalen Geber – auch Deutschland – eine boomende, ausfuhrorientierte Agrarwirtschaft (Blumen als Exportschlager!) aufgebaut wurde, kommt es in dem Land zugleich regelmäßig zu Hungerkatastrophen (wie zuletzt 2006), weil die eigene Bevölkerung aus der einheimischen Produktion nicht mehr ernährt werden kann. Bis in die 1980er Jahre versorgte sich Kenia wie viele andere Länder mit Grundnahrungsmitteln selbst, heute importiert es 80 Prozent seiner Lebensmittel.

Ungerechte Handelsabkommen und Agrarexportsubventionen sind maßgeblich für die zunehmende Armut und den Hunger sowie für die Zerstörung der Märkte der Entwicklungsländer verantwortlich. „Hähnchen des Todes“ werden die aus Europa importierten Hühnerteile in Kamerun genannt, zum einen, weil sie vielfach halb aufgetaut und dadurch oft mit Salmonellen und anderen Erregern infiziert sind, vor allem jedoch, weil sie mit ihren niedrigen Preisen einheimische Geflügelzüchter in den Ruin treiben. Eine ähnliche Katastrophe zeichnet sich für Tausende Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in etlichen afrikanischen Ländern ab, die von Geflügel- auf Schweineaufzucht umgestiegen sind und seit Anfang des Jahres mit billigem Schweinefleisch aus der EU konkurrieren müssen. Im Dezember 2007 hatte die EU klammheimlich Agrarexportsubventionen von bis zu 0,54 Euro pro Kilo für EU-Schweinefleisch beschlossen.

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) errechnete, daß den Staaten Afrikas jährlich 700 Milliarden US-Dollar an Exporteinnahmen durch den Protektionismus der EU in Form von (Agrar-) Subventionen, nicht-tarifären Handelshemmnissen und Schutzzöllen verlorengehen.

Wenn die EU und ihre Mitgliedsländer die Landwirtschaft in Afrika fördern und den Hunger effektiv bekämpfen wollen, müssen sie die Subventionen sofort streichen und einer Außerkraftsetzung der Interims-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) zustimmen, die viele AKP-Länder (Afrika, Karibik, Pazifik) unter großem Druck des EU-Handelskommissars Ende 2007 unterzeichnet haben. Die Annullierung dieser Freihandelsabkommen, die die AKP-Staaten zu einer drastischen Zollsenkung für Importwaren und zu einer weiteren Marktöffnung, nicht nur für Industrie- und Agrarprodukte, sondern auch für Investitionen, Dienstleistungen und das öffentliche Beschaffungswesen zwingen, fordern inzwischen etliche Regierungen und der Afrikanische Gewerkschaftsbund. Die WPAs würden die „Entwicklung im gesamten Süden untergraben“, warnen Studien. Eine der schärfsten Kritikerinnen der „Partnerschaftsabkommen“ ist Aminata Traore, ehemalige Kulturministerin Malis, die die WPAs folgendermaßen charakterisiert: „Europa verlangt von uns Wettbewerbsfähigkeit, aber mit China erfährt es Wettbewerbsfähigkeit am eigenen Leib und kriegt die Panik. Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter. Jetzt schickt China seine Produkte nach Europa, und zwar nicht einmal Reste, sondern saubere, wettbewerbsfähige Waren. Und was tut Europa? Es diskutiert Zölle. Also sage ich: Auch Afrika darf sich schützen. Europa kann doch nicht vor China Panik kriegen und zugleich von Afrika Öffnung verlangen. (…) Für uns sind diese Abkommen die Massenvernichtungswaffen Europas“. (taz-Interview, Juli 2005)

Das Tor zur Gentechnik

Den Vorschlag, die gescheiterte afrikanische „grüne Revolution“ wiederzubeleben, präsentierte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im Juli 2004. Im September 2006 gründete die Bill&Melinda-Gates-Stiftung zusammen mit der Rockefeller-Stiftung eine „Allianz für eine grüne Revolution in Afrika“, und auch Jacques Diouf, Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO, rief zu ihrer Unterstützung auf. Schwerpunkt dieser „Revolution“ ist PASS, das Program for Africa’s Seed Systems, ein Programm für nationale und internationale Agrarforschungszentren, die innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens 200 neue Saatgutsorten züchten sollen. In Kooperation mit Agrarkonzernen wie Monsanto sollen dabei auch „die vielversprechenden Möglichkeiten in der Biotechnologie“ genutzt werden.

Wie groß die Gefahr ist, daß auch jetzt die Nahrungsmittelkrise wieder für die Verbreitung von gentechnisch verändertem Saatgut und Nahrungsmitteln (GVOs) ausgenutzt werden kann, zeigt der Appell des amtierenden UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon vom April 2008. Wie sein Vorgänger propagiert er die Verwendung von genmanipuliertem Saatgut, weil es angeblich höhere Erträge garantiert. Damit macht sich die UNO zum Erfüllungsgehilfen von Agrarkonzernen, die genau dieses Ziel verfolgen: eine größtmögliche Verbreitung von GVOs. Generell gilt: „Die Akzeptanz von Biotech ist heutzutage oft eine Vorbedingung, um Hilfsgelder zu erhalten“, so Johnson Ekpere, Professor für Biotechnologie, Nigeria.

Schon während der Nahrungsmittelkrise 2002 im südlichen Afrika wurde um die Einführung der Gentechnik gestritten. Damals wollten die USA 500000 Tonnen Mais an Malawi, Moçambique, Sambia und Simbabwe liefern. Die Regierungen weigerten sich damals, das Geschenk anzunehmen, weil es auch Genmais enthalten sollte. Weltbank und IWF zwangen Malawi regelrecht, seine großen Maisvorräte zur Schuldentilgung zu verkaufen. Bereits 2001, als sich die Nahrungsmittelkrise abzeichnete, hatte das Land die Maisvorräte angelegt, um deren Folgen abzumildern. Ähnlich wie heute kauften Spekulanten die Vorräte billig auf und verkauften sie später zu hohen Preisen. Der damalige Direktor des IWF, Horst Köhler, und die Weltbank schoben sich seinerzeit gegenseitig die Schuld für den malawischen „Zwangsverkauf“ zu. Während der Krise verlangten IWF und Weltbank von der malawischen Regierung die Streichung aller Subventionen für Nahrungsmittel und Landwirtschaft als Bedingung für Entwicklungs- und Hilfsprogramme mit dem Argument, der Markt solle die Nahrungsmittelpreise bestimmen. Wie fiele wohl die Reaktion in Deutschland aus, wenn der Bundespräsident heute alle Streichungen von Subventionen verlangen würde?

Wie erfolgreich der vor einigen Jahren begonnene „Genkreuzzug“ in Afrika ist, zeigt sich bei der Baumwolle: Nach Burkina Faso hat auch Mali, größter Baumwollproduzent Afrikas, ein Fünfjahresprogramm gestartet, um GVOs einzuführen. Federführend sind hier die Agrarkonzerne Monsanto und Syngenta sowie die US-Entwicklungshilfeagentur USAID. Kommentar des ehemaligen Vorsitzenden der UN-Hunger-Task-Force und GVO-Lobbyisten Pedro Sanchez: „Transgene Pflanzen werden inzwischen in Afrika akzeptiert. Ich bin überzeugt, daß der Kampf gewonnen ist“.

Auch in Südafrika waren die Genlobbyisten sehr erfolgreich: Importeure von Genweizen brauchen keine gesonderte Importlizenz mehr, wenn sie ein Genprodukt, das in den USA zugelassen ist, importieren. „In immer mehr Ländern sehen wir die Einführung von Gesetzen und Verfahren, die gentechnisch veränderten Pflanzen den Weg ebnen, selbst wenn Regierungen ihre Sorge um die biologische Sicherheit und das Festhalten am Cartagena-Protokoll beteuern. In Lateinamerika werden diese Gesetze ‚Monsanto-Gesetze’ genannt“, so der nigerianische Professor für Biotechnologie Johnson Ekpere.

Die Argumente für die angeblichen Vorteile von gentechnisch veränderten Agrarprodukten sind leicht zu widerlegen: Gennahrungsmittel sind nicht billiger, im Gegenteil, Genmais ist in den USA ein Drittel teurer als konventioneller, bei etlichen Genpflanzen muß der Einsatz von Agrarchemie gesteigert werden, weil Schädlinge resistent werden; auch der Ertrag wird vielfach nicht gesteigert. Selbst die Forscher des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag kommen zu dem Schluß, daß ein Nutzen von GVOs nicht erwiesen ist.

Es geht also beim Einsatz der Gentechnik vor allem darum, den Nahrungsmittelmarkt zu beherrschen, wie ein ehemaliger Mitarbeiter von Monsanto einmal verlauten ließ: „Monsanto will die Weltherrschaft über alle Nahrungsmittel“. Schon in den 1970er Jahren erklärte der einflußreiche US-Politiker Henry Kissinger (1969–75 „Sicherheitsberater“, 1973–77 Außenminister): „Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen“.

Schon heute beherrschen nur fünf Konzerne 90 Prozent des Weltgetreidemarktes, allein die beiden Marktführer Cargill und ADM kontrollieren 65 Prozent des weltweiten Handels. Jetzt drängen auch die globalen Supermarktketten wie Carrefour, Metro, Wal-Mart, Ahold und Tesco auf den Nahrungsmittelmarkt; sie schalten zunehmend kleine Zwischen- und Einzelhändler aus und setzen damit auch die Produzenten unter Druck, die für ihre Produkte immer weniger erhalten. In Indien gibt es bereits eine große Protestbewegung gegen diese Versuche der Marktbeherrschung, weil durch die Supermarktketten zehn Millionen Einzel- und Zwischenhändler ihr Einkommen verlieren könnten.

Die Neuauflage der „grünen Revolution“ ist eine reale Bedrohung für den informellen Saatgutsektor der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, der bislang noch 80 bis 90 Prozent des weltweiten Bedarfs abdeckt. Saatgut wird untereinander getauscht oder auf informellen Saatgutmärkten billig eingekauft. Dieses für alle zugängliche und billige System der Saatgutnutzung soll durch ein formelles Vertriebssystem, kontrolliert und gesteuert durch multinationale Konzerne, ersetzt werden. Damit werden die Bäuerinnen und Bauern abhängig von industriellem Saatgut, das zudem auch der Verbreitung von gentechnisch veränderten Pflanzen dient.

Der Aufruf zu einer „grünen Revolution in Afrika“ ist der Versuch, die Bereiche von Afrikas Landwirtschaft, die noch nicht vollständig in die globale Wertschöpfungskette integriert sind, den Verwertungsbedingungen des kapitalistischen Weltmarkts zu unterwerfen.

Lebensmittel für den Tank

Zur Nahrungsmittelkrise haben auch die Agrartreibstoffe beigetragen. Zwar sind sie nicht allein für die Teuerungsraten verantwortlich, aber laut Schätzungen sind 30 bis 70 Prozent der Preissteigerungen für Nahrungsmittel auf den verstärkten Anbau und die Verwendung von Pflanzen zur Herstellung von Kraftstoffen zurückzuführen.

Trotz wachsender Kritik an der Förderung von Agrartreibstoffen von seiten der Weltbank, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der europäischen Energieagentur und insbesondere von zahlreichen Entwicklungshilfeorganisationen sowie von Zivilgesellschaften des Südens hält die EU weiterhin an der Förderung dieses Kraftstoffes fest. Allerdings sollen die Subventionen auslaufen, und die EU-Umweltminister wollen in Zukunft nur solche Agrarkraftstoffe erlauben, für die kein Regenwald gerodet wurde. Zudem soll Biokraftstoff künftig statt aus Mais oder Rüben aus Klärschlamm oder anderen organischen Abfällen gewonnen werden, um so einen Mangel an Nahrungsmitteln und infolgedessen höhere Lebensmittelpreise zu verhindern. Darüber hinaus will die EU-Kommission nur solche Kraftstoffe zulassen, die von der Produktion bis zum Verbrauch mindestens 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen als fossile Energieträger.

Ob diese Auflagen überhaupt implementiert und effektiv überwacht werden können, ist sehr zweifelhaft. Die drei kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen Brot für die Welt, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) und Misereor betonen in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zu einer parlamentarischen Anhörung über das Für und Wider von „Biomasse“ im Februar 2008, daß es in „vielen Ländern keine effektive, kontrollierbare und durchsetzbare Flächennutzungspolitik gibt, die die Einhaltung sozialer oder ökologischer Standards garantieren könnte“. Für die kirchlichen Hilfswerke bergen „das größte Potential für die Armuts- und Hungerbekämpfung nicht Monokulturen und genmanipulierte Energiepflanzen, sondern Mischanbau, Artenvielfalt und angepaßte Landsorten“.

Großer Widerstand gegen den Anbau von Agrartreibstoffen kommt insbesondere von Vertretern zahlreicher Organisationen in den Ländern des Südens. Sie betonen, daß die Folgen des wachsenden Exports biogener Kraftstoffe nicht nur eine zunehmende Abholzung von Regenwäldern, eine strukturarme, intensiv bewirtschaftete Monokultur und steigender Wassermangel sind. Insbesondere geht er einher mit der gewaltsamen Vertreibung von Kleinbauern bzw. indigenen Völkern von ihrem Land, das für die Produktion von Zuckerrohr oder Ölpalmen zur Herstellung von Agrokraftstoffen genutzt wird.

Spekulationsobjekt Nahrung

Zusätzlich angeheizt wird die Nahrungsmittelknappheit und -verteuerung durch Börsenspekulation. US-amerikanische und europäische Pensionskassen legen ihre Gelder in Rohstoffen an, wozu neben Öl auch Nahrungsmittel wie Soja, Weizen oder Mais gehören. Je höher die Preise, desto höher die Profite für die Anleger. Durch den virtuellen Aufkauf von Rohstoffen sind die Preise an den Rohstoffmärkten um etwa 20 Prozent gestiegen. Und diese Preisspirale könnte sich noch weiter nach oben drehen, wie gegenwärtig beim Öl zu beobachten ist. Jede Woche fließen ein bis zwei Milliarden US-Dollar neu in Rohstoffe. Um die komplette Getreideernte der USA aufzukaufen, braucht es nach Schätzungen nur 120 Milliarden Dollar – ein kleiner Betrag für die Börsianer am Devisenmarkt, auf dem täglich etwa 3 000 Milliarden Dollar bewegt werden. Das Spekulieren mit Nahrungsmitteln ist ein Verbrechen und sollte verboten werden. Die indische Regierung hat dies erkannt und bereits Anfang 2007 alle Terminkontrakte auf Weizen, Reis, eine Bohnensorte und Straucherbsen untersagt. Dieses Verbot wurde kürzlich auf Sojaöl, Kartoffeln und Kautschuk ausgeweitet.

In seinem im April veröffentlichten Bericht fordert der Weltagrarrat IAASTD einen Paradigmenwechsel: Statt der industriellen, exportorientierten Agroindustrie müssen im Mittelpunkt der Landwirtschaftsförderung Kleinbäuerinnen und Kleinbauern stehen; angepaßte Technologien, eine gerechte Land- und Ressourcenverteilung sowie ein verbesserter Zugang zu Bildung und Krediten sollen Schwerpunkte ländlicher Förderung sein. Die in kleinbäuerlichen Betrieben erzielbare Ertragssteigerung liegt ein Vielfaches über den Möglichkeiten industrieller Landwirtschaft und kann die Ernährung von neun Milliarden Menschen sichern, betont der IASSTD. Maßgeblich sind dabei insbesondere Fördermaßnahmen für Frauen, die fast einem Drittel aller ländlichen Haushalte in Afrika südlich der Sahara vorstehen. Frauen sind maßgeblich in der Nahrungsmittelproduktion sowie im Handel mit Agrarprodukten tätig und folglich auch von der Zerstörung der lokalen Märkte durch Importwaren am meisten betroffen.

Nur eine radikale Kehrtwende in der Agrarpolitik und die Beseitigung der oben genannten Hemmnisse wie ungerechte Freihandelsabkommen und Agrar(export-)subventionen können den Hunger in der Welt besiegen. Dazu gehört auch die Stärkung des traditionellen Gewohnheitsrechts (customary rights) auf Land und Wasser. Im Zuge der Entstaatlichung und Liberalisierung wurde Land, das sich traditionell in Gemeinschaftsbesitz befand und dessen Nutzung zwischen Bauern und Bäuerinnen auf der einen und Nomaden/Pastoralisten (Viehhaltern) auf der anderen Seite geregelt war, privatisiert. Durch die zunehmende Kommerzialisierung von Landbesitz für industrielle Nahrungsmittelproduktion und Agrarenergie, für private Wildparks und andere touristische Einrichtungen oder als Akkumulationsstrategie für nationale Eliten wurden insbesondere schwache gesellschaftliche Gruppen wie Frauen, Jugendliche oder Pastoralisten verdrängt. Um ihnen wieder einen rechtlich abgesicherten Zugang zu Land und anderen Ressourcen zu geben, setzen sich einige nichtstaatliche Entwicklungshilfeorganisationen für die Weiterentwicklung des traditionellen Gewohnheitsrechts ein. Dies wäre eine wichtige Maßnahme zur Verhinderung von Landraub, d.h. der Vertreibung von Menschen von ihrem Land durch nationale Eliten und/oder ausländische Konzerne sowie der zunehmenden Spekulation mit Land.

Fazit: Es gilt, den Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft und eine sozial und ökologisch nachhaltige Landwirtschaftspolitik durchzusetzen. Die vielbeschworene Produktivitätssteigerung wird ein Ergebnis dieser Politik sein.

Veröffentlicht in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 13. Juni 2008 [Originalfassung]
[Russische Version]



1. Zitat nach: Debbie Barker, The Rise and Predictable Fall of Globalised Industrial Agriculture. A Report from the International Forum on Globalization, San Francisco 2007, S. 1.